»Das größte Vergnügen im Leben besteht darin, Dinge zu tun, die man nach Meinung anderer Leute gar nicht fertig bringt.«
Die rot gebeizte Holztruhe aus dem Nachlass von Doris Day ersteigerte Jens Wawrczeck bei einer Auktion in Kalifornien – der Moment, in dem er den Zuschlag bekam, zählt zu den unvergessenen Augenblicken in seinem Leben. Ein großer Verehrer von Doris Day ist der Schauspieler, Sprecher und Sänger schon seit seiner Kindheit, und so verwundert es nicht, dass er für sein 2020 erschienenes Debütalbum »Celluloid« auch den Titelsong aus »Move over Darling« auswählte. Mit »Celluloid« trat Jens Wawrczeck erstmals als Sänger in Erscheinung. »Singen ist das Persönlichste, was man auf der Bühne machen kann. Beim Singen kann ich mich viel weniger verstecken als hinter einer Theaterfigur oder einem fremden Text.« Für »Celluloid« hat er eine sehr persönliche Auswahl von Filmsongs aus den 50er, 60er und 70er-Jahren neu arrangiert und interpretiert. »Jens Wawrczecks Stimme wird zur Seele des Albums«, urteilte ein Musikkritiker.
Seine Stimme ist es, die ihn berühmt gemacht hat. In hunderten Hörspielen und vielen Serien spricht er zahlreiche verschiedene Rollen und überzeugt als kaltblütiger Mörder (»Zwei Fremde im Zug«), als Junge, der nie erwachsen wird (»Peter Pan«) oder gleich als Heiland (»Das Evangelium nach Jesus Christus«). Seine erste Aufnahme macht er als 11-Jähriger beim NDR, wo er in Astrid Lindgrens »Die Brüder Löwenherz« vor dem Mikrofon stand. Vier Jahre später begann er, als zweiter Detektiv Peter Shaw in der Kult-Hörspielreihe »Die drei Fragezeichen« zu ermitteln, von der inzwischen über 200 Folgen erschienen sind. Große Erfolge waren unter anderem seine Rollen in Umberto Ecos »Baudolino«, Dashiell Hammetts »Der Malteser Falke«, Mary Shelleys »Frankenstein« und Truman Capotes »Kaltblütig«. Die Wandelbarkeit seiner Stimme überrascht auch den Künstler gelegentlich: »Manchmal erkenne ich mich selbst nicht wieder.«
Die Liste der von Jens Wawrczecks eingelesenen Hörbücher ist ebenfalls lang und reicht von Kinderbuchklassikern über die Scheibenwelt-Romane von Terry Pratchett bis hin zu den Tagebüchern Lion Feuchtwangers. Um vergessenen Autoren wieder eine Stimme zu geben, gründete er 2008 sein Hörbuchlabel AUDOBA. Hier bringt Jens Wawrczeck in der Reihe »Verfilmt von Alfred Hitchcock« die literarischen Vorlagen für die Thriller des »Master of Suspense« heraus und Raritäten wie Roland Topors »Der Mieter«, Robert Graves »Der Schrei« oder Arthur Bernèdes »Belphégor«. Jüngst hat der Stimmwandler Guy de Maupassants Schauernovelle »Der Horla« bei AUDOBA veröffentlicht. »Er macht sich ganz zum Medium des Textes, wird selbst zum Gehetzten, spielt virtuos mit den Untertönen der Verzweiflung, Angst und Hoffnung – und versteht sie in verschiedener Dosierung zu mischen«, schrieb die FAZ begeistert.
Immer wieder ist Jens Wawrczeck auch als Synchronbuchautor – und regisseur tätig. Er war unter anderem für die deutschen Fassungen für die mehrfach ausgezeichneten Filme »Bullhead« (Michael Roskam), »Chanson der Liebe« (Christophe Honoré), »Wir waren Zeugen« (André Techiné), »Das Erbe« (Per Fly), für den Mehrteiler »Die Kennedys« oder den Filmklassiker »Die Marx Brothers – Animal Crackers« verantwortlich. Als Synchronsprecher lieh er auch dem Schauspieler Patton Oswald seine Stimme für die deutsche Fassung der Sitcom »King of Queens«.
Neben dem Tonstudio hat Jens Wawrczeck auf der Theaterbühne eine weitere künstlerische Heimat gefunden. Nach dem Abitur studierte er Schauspiel in Hamburg, New York und Wien, sein Bühnendebüt gab er allerdings schon mit 13 Jahren an den Hamburger Kammerspielen. In den letzten Jahren glänzte er unter anderem als großspuriger Feigling Bleichenwang in William Shakespeares »Was ihr wollt« und als verzweifelter Anwalt Krogstad in Henrik Ibsens »Nora«. Für seine Rolle als boshaft-britische Lady Bracknell in Oscar Wildes »Bunbury« am Ernst Deutsch Theater kürte ihn die Hamburger Morgenpost in ihrer Premierenkritik zum »Star des Abends«. In seinem Programm »Hitch und ich« lässt er die literarischen Vorlagen zu Alfred Hitchcocks Filmen auf der Bühne lebendig werden. »Jens Wawrczeck liest sensationell... unglaublich intensiv«, begeistert sich NDR Kultur. Da vermisst man die Filmbilder nicht eine Sekunde.
Für seine Arbeit wurde er mit zahlreichen Preisen geehrt, unter anderem erhielt er den Bad Hersfeld-Preis für seine Rolle als Edgar in »König Lear«, den Deutschen Hörbuchpreis und den Preis der Deutschen Schallplattenkritik.
Die Ideen gehen Jens Wawrczeck noch lange nicht aus. »Viele Projekte liegen noch in meiner Schublade und warten auf ihre Umsetzung«, sagt er. Dabei können sich Hörer, Zuschauer und Filmmusikliebhaber auf die eine oder andere Überraschung gefasst machen. Frei nach Marcel Aymé, einem seiner Lieblingsautoren: »Das größte Vergnügen im Leben besteht darin, Dinge zu tun, die man nach Meinung anderer Leute gar nicht fertig bringt.«